Studienreise 2016 nach London und Umgebung

Ein Erfahrungsbericht von Dr. Oliver Pilnei und Joachim Gnep

Dass England auch für politische Überraschungen gut ist, wissen nun alle. Dass viele Kirchen in England schon seit einigen Jahren programmatisch theologische Überraschungen produzieren, wird in kirchlichen Kreise auch zunehmend bekannt. Unter der Überschrift „Fresh Expressions of Church“ (Frische Ausdrucksformen von Kirche), kurz „FreshX“, werden von der Anglikanischen Kirche, der Evangelisch-methodistischen Kirche, aber auch Baptistischen Union seit mehr als zehn Jahren innovative Gemeindeformen und -neugründungen initiiert, um die entkirchlichten Menschen in England mit dem Evangelium bekannt zu machen. Dahinter steht eine „missional“ geprägte Theologie, die Wesen und Auftrag der Gemeinde aus dem Gedanken der Sendung durch Jesus in die Welt beschreibt. Das wollte der „Arbeitskreis Missionale Gemeinde“ im BEFG vor Ort kennen lernen. Dank der Hilfe von Ian Bunce, einem englischen Pastorenkollegen, konnten wir ein abwechslungsreiches und herausforderndes Programm in und um London zusammenstellen. Am 6. Juni brachen zwölf Personen aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands zu einer einwöchigen Studienreise auf, die uns in die Theologie von FreshX einführte und auf der wir eine Reihe von sehr unterschiedlichen Pionierprojekten kennenlernten, die christliche Gemeinschaften in kirchlich unberührten oder entwöhnten Kontexten etablieren.

Wir besuchten eine der ältesten innerstädtischen Baptistengemeinden Londons, die Bloomsbury Baptist Church, die sich im SoHo-Viertel engagiert, in dem viele Homosexuelle leben. Die Gemeinde will diesen Menschen mit ihren Fragen, Sorgen und Nöten mit dem Evangelium begegnen.

Die „Church from Scratch“ (Kirche ganz klein anfangen) in Southend on Sea folgt einem  Hauskirchenkonzept und besteht aus einem Kleingruppennetzwerk. Die Kirche ist der heimische Garten und der „Altar“ ein selbstgebauter Pizzaoffen. Hier teilt eine kleine Gruppe im Namen Jesu das Leben, übt sich in der Nachfolge und setzt sich für den eigenen Ort ein.

Gemeinschaft mit und für Menschen, die sonst durchs Raster fallen – dafür steht „57 West“, eine Neugründung, die eigentlich als schicke Anlaufstelle für die Studenten der unweit gelegenen Uni gedacht war. Die Studenten blieben aus, dafür kamen Obdachlose. Und so entschied Dan Pratt mit seinem Team eine Kirche mit Obdachlosen zu machen. Mit, nicht für. Wir erlebten, wie Menschen für Kaffee und Kuchen zusammenkommen. Gespräche, eine Zigarette, Schulterklopfen, ein Segenswort ... und einmal die Woche  Gottesdienst. Dans Bereitschaft, sein Konzept über den Haufen zu werfen und sich auf die Menschen einzulassen, die da sind, war beeindruckend!

Das Kontrastprogramm erlebten wir im Kahaila-Café: „Business as Mission“ – ein Geschäftsmodell als Mission. Ein stylischer Coffee-Shop in einem multikulturellen Viertel Londons. Hochwertiges Gebäck, bester Kaffee. Ein Raum, um einfach da zu sein, zu reden und Beziehungen aufzubauen. Einmal die Woche wird Gottesdienst gefeiert, dann wird nicht serviert. Dazwischen machen Paul und sein Team Aktionen auf den Straßen, mischen sich unter die Menschen, engagieren sich in einem Projekt gegen Menschenhandel.

Ganz anders die Begegnung mit Straßenvangelist Chris Duffett in Peterborough: Seine Ausgangsbasis ist ein Pub. Einmal die Woche ist er dort vormittags mit seinem Team. Wer meint, der Pub sei um diese Uhrzeit leer, irrt. Chris malt „prophetische Bilder“ und verschenkt sie; er legt christliche „Tarotkarten“, um das Leben Jesu mit den Geschichten der alkoholaffinen Pubbesucher in Verbindung zu bringen. Und nachmittags steht das Team auf der Straße, bietet ein offenes Ohr, Umarmungen, Wasser und Gebete an. Kleine Zeichen, die manchmal Herzen öffnen.

Die Studienreise war ein voller Erfolg: tolle Menschen, die viel Spaß miteinander hatten; Einsichten, die in keinem Buch stehen; und Impulse, die uns noch lange begleiten werden. So eine Reise sollte es bald wieder geben.

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Ein Artikel von Dr. Oliver Pilnei und Joachim Gnep