Beim Hingehen erlebt

Ohne Sorgen durch Haiti

Ich sitze im Sans Souci Reisebus, dem moderneren und komfortablen, in dem jeder seinen eigenen Sitzplatz hat und nicht mehr Leute transportiert werden als Sitzplätze vorhanden sind. Wir brettern durch die Landschaft. Hier im Süden sind die Straßen inzwischen gut ausgebaut, da kann man ordentlich Gas geben und Zeit rausholen. Das ist für die Passage durch die Berge und bei den schlechteren Straßen im Norden nötig, so eng sind die Fahrzeiten getaktet. Es gibt Geschwindigkeitsbegrenzungen…an die sich niemand hält. Hier gilt das Gesetz des Stärkeren, Verkehrshindernisse werden gnadenlos beiseite gehupt. Ich bete.

Die Landschaft fliegt vorbei. Eine kleine Seitenscheibe beim Fahrer klappert im Fahrtwind. Plötzlich reißt es bei voller Fahrt die komplette vordere Seitenscheibe raus. Der entgegenkommende, ebenfalls rasende LKW hat einen derartigen Luftdruck erzeugt, dass die Scheibe nun weg ist. Staubig warme Luft weht in den Bus. Die Passagiere beginnen wüst auf den Busfahrer einzuschimpfen. Ich verstehe ungefähr so viel, dass er doch nicht so rasen und vorsichtiger fahren solle. Ungerührt rast der Busfahrer weiter. Am obligatorischen Zwischenstopp auf halber Strecke sehe ich mir den Spaß von außen an und frage mich, was jetzt wohl geschehen würde. Zwei Angestellte des Busunternehmens kommen, betrachten das Loch, wo mal ein Fenster war, verschwinden und kommen wenig später mit einer breiten Tesa-Rolle wieder und tapen das Loch zu. Weiter geht die Reise. Auch Wochen später sehe ich den Bus noch genauso quer durchs Land fahren.

Nach der x.ten Fahrt durchs Gebirge und unzählige Stoßgebete später habe ich mich an die engen Straßen, die Serpentinenkurven ohne Leitplanken und das ständige Geschaukel durch die Schlaglöcher gewöhnt. Ich bin froh, nicht unter Reisekrankheit zu leiden. Ein Glück, das nicht immer allen Mitreisenden zuteil ist. Ich bange nicht mehr um mein Leben, wenn ich aus dem Fenster blicke und unter mir nur noch den mehrere Hundert Meter tiefen Abgrund in ein wunderschönes Tal sehe. Trotz eines anarchistischen Straßenverkehrs und einer mir sehr fremden Fahrweise stelle ich fest, dass die meisten Busfahrer doch wissen was sie tun und die Strecke gut kennen.

Auch wenn die Stoßgebete weniger wurden, so ist mir doch wieder ganz neu bewusst geworden: Meine Zeit steht in Gottes Händen. Ohne Gottvertrauen geht es in diesem Land nicht – weder im Straßenverkehr noch in anderen Situationen des Alltags.

Ich habe in diesem Jahr knapp 6 Monate in Haiti gelebt und geforscht.

Stefanie Fischer
02.11.2015