Baptismus und Sozialismus

Im Gespräch mit Historikern und Zeitzeugen

Der Studientag „Baptismus und Sozialismus“ des Historischen Beirats beschäftigte sich am 30. November mit dem Verhältnis der Baptisten zum Sozialismus und Kommunismus in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts.

Wie entwickelte sich das Verhältnis zwischen Marxisten und freikirchlichen Christen? Wie viel Sozialismus steckte im DDR-Bund? Und was bedeutete dies für die Beziehungen zum westdeutschen Bund in der eher antikommunistisch orientierten Bundesrepublik? Und schließlich: Wie haben sich Baptisten 1989/90 zum Ende des Staatssozialismus verhalten, und wie weit sind Gemeinden im Osten bis heute geprägt durch die sozialistische Vergangenheit? Das waren die Fragen, die auf dem Studientag 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution und 50 Jahre nach Gründung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) in der DDR gestellt wurden. Die Tagung wurde vom Historischen Beirat des BEFG sowie vom Verein „Evangelisch-Freikirchliche Zeitgeschichte“ veranstaltet und fand in der EFG Berlin-Friedrichshain statt, in dem einzigen Gebäude der Baptisten in der DDR, das vor allem mit Geldern aus der BRD und des Weltbundes gebaut werden konnte.

Dr. Simone Thiede, Religionswissenschaftlerin aus Hamburg, und die Leiter des Historischen Beirats, Dr. Andreas Liese und Reinhard Assmann, untersuchten, wie die deutschen Baptisten sich mit den Sozialisten auseinander gesetzt haben. Während sich Baptisten besonders in den englischsprachigen Ländern in verschiedenen Fragen bewusst politisch engagierten und das als diakonische Aufgabe ansahen, war das Ideal der deutschen Baptisten eher sich aus der Politik herauszuhalten. Diakonie wurde als Einzelfallhilfe verstanden, nicht als politische Aufgabe. Trotzdem gab es immer wieder Personen wie Carl August Flügge, der feststellte, dass Sozialisten und Baptisten Interesse haben, die soziale Notlage der Arbeiter zu lindern. Beide Gruppen gehörten für Reichskanzler Bismarck zu den Reichsfeinden, fremdelten aber miteinander, weil Baptisten den atheistischen Sozialismus nicht akzeptieren konnten und religiöse Sozialisten Mühe hatten, verstanden zu werden. In der entstehenden DDR kannten sich manche Kommunisten und Kirchenleute aus ihrer Zeit in den Konzentrationslagern und mussten ein neues Miteinander im Alltag finden. Das war je nach politischer Großwetterlage und persönlichem Standort zu manchen Zeiten schwierig und herausfordernd. Der Kalte Krieg forderte die Beschäftigung mit dem Sozialismus und Marxismus heraus. In einem Interview mit Diethard Dahm wurde dabei deutlich, dass die Antworten und Konsequenzen für Baptisten in der DDR und für die Studentenbewegung der 68er in der Bundesrepublik sehr unterschiedlich waren. Beeindruckend waren in diesem Zusammenhang auch die Zeitzeugenberichte von Prof. Dr. Carl-Jürgen Kaltenborn, Ingrid Ebert und Uwe Dammann.

Die rund 70 Teilnehmenden waren überwiegend Menschen mit DDR-Erfahrung. Deutlich wurde dabei, dass Gespräche mit Zeitzeugen notwendig sind. Es gibt zum Beispiel nur wenig Quellen aus baptistischen Gemeinden darüber, wie Einzelne oder Gemeinden sich an der Friedlichen Revolution beteiligt haben. Könnte der Historische Beirat des BEFG zum Beispiel regelmäßig zu Erzähl-Tagen einladen? Vielleicht wird es über diesen Weg auch möglich, Verletzungen und Missverständnisse zwischen Ost und West aufzuarbeiten sowie politische und ethische Verantwortung neu zu reflektieren.

Ein Artikel von Dr. Gyburg Beschnidt