Die Stasi führte Protokoll

Erster Archivtag des Bundes

Archivarbeit ist keine staubige Angelegenheit, eher eine spannende Reise in die Vergangenheit. Das spürten die 21 Teilnehmer des ersten Archivtags des Bundes am 20. April in der Kirche im Hof der Gemeinde Kassel-West. Die Gemeindearchivare kamen aus 16 Gemeinden zwischen Köln, Berlin, Bremen und Wiesbaden.

Erstmals hatte das Oncken Archiv in Verbindung mit dem Historischen Beirat des Bundes eingeladen, um die Archivare in ihrer Arbeit zu unterstützen und zu motivieren. Frank Fornaçon wies darauf hin, dass das Archiv das Gedächtnis einer Gemeinde sei, das viel über deren Prägung verrät und auf Fehlentwicklungen hinweisen kann. Er zitierte in seiner Einleitung ein Sprichwort: „Wer die Vergangenheit ignoriert ist gezwungen, sie zu wiederholen.“

Bei einer Führung durch das Archiv der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck erläuterte dessen stellvertretender Leiter, Peter Heidtmann-Unglaube, die Grundlagen der Archivarbeit und zeigte historische Dokumente, die in seinem Bestand über die Baptisten in Hessen zu finden sind. Ganz praktische Themen kamen zur Sprache, wie die sachgerechte Lagerung der Archivalien und die Frage, was man eigentlich wegwerfen darf.

Hartmut Wahl, Roland Fleischer, Reinhard Assmann und Frank Fornaçon, alle Mitglieder des Beirates, gaben Hinweise zum Umgang mit heiklen Themen (Drittes Reich, Stasi-Unterlagen) und wiesen auf Quellen hin, die das Gemeindearchiv ergänzen können. Dazu zählen besonders staatliche Archive und die Chancen, im Internet fündig zu werden. Reinhard Assmann berichtete über seine Forschungen im Archiv der Staatssicherheit: „Wir hatten zu DDR-Zeiten in der Gemeinde Bitterfeld eine Friedens- und Umweltgruppe gegründet. Um uns nicht zu gefährden verzichteten wir auf jegliche Protokolle. Nichts wurde aufgezeichnet.“ Sein Erstaunen war groß, als er in den Stasi-Akten präzise Mitschriften der Treffen fand. Zwei der Teilnehmer arbeiteten offenbar mit der Staatssicherheit zusammen. „So haben wir heute ein Wissen über das, was sonst mit der Zeit verloren gegangen wäre, auch wenn der Weg dahin kein guter war.“

Die Teilnehmer wurden eingeladen, die Vernetzungsmöglichkeiten im Bund zu nutzen und an bestimmten Forschungsprojekten mitzuwirken. So wies Hartmut Wahl auf die Sammlung von Fluchtgeschichten hin, die das Schicksal von Flucht und Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg dokumentieren soll. Dringend werden hier noch schriftliche und mündliche Zeugnisse der Zeitzeugen von damals gesucht, um die wissenschaftliche Bearbeitung dieses sehr bedeutenden Teils der Bundesgeschichte zu erschließen. Roland Fleischer stellte das Projekt Biographielexikon vor. Über 250 Persönlichkeiten aus der Geschichte des Bundes und des Baptismus werden in dem Gemeinschaftsprojekt vorgestellt, das demnächst veröffentlicht wird. Frank Fornaçon stellte das Zeitschriftenarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek vor, das allein 1700 Einträge zu Baptisten im Internet zur Verfügung stellt. Darin sind nicht nur Baptisten in Österreich-Ungarn sondern auch darüber hinaus häufig erwähnt.

Dr. Andreas Liese, der erste Vorsitzende des Beirates dankte den Teilnehmern, dass sie sich nicht nur um die Geschichte ihrer Gemeinde bemühen, sondern sich auch für eine qualifizierte Arbeit schulen lassen. Er lud für 2018 zu einem zweitägigen Archivtag in Elstal ein, wo die Arbeit im Oncken-Archiv einen besonderen Schwerpunkt bilden wird.

Ein Artikel von Frank Fornaçon