Gott kommt zu uns

Eine Weihnachtsandacht von BEFG-Generalsekretär Christoph Stiba

Gott zieht es nach unten. So berichtet es dieses alte Anbetungslied der ersten Christen, das der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi zitiert.

Den Schöpfer des Himmels und der Erde hält es nicht im Himmel, sondern ihn zieht es nach unten, auf die Erde. Er entäußert sich selbst. Er gibt seine göttliche Gestalt, einen Teil seines Wesens auf und begrenzt sich selbst. Er wird sichtbar, erkennbar und nahbar. Gott wird Mensch. Das macht Weihnachten in jedem Jahr so besonders und attraktiv. Sicher haben das heute längst nicht mehr alle Menschen bewusst im Blick, und sie feiern Weihnachten trotzdem. Doch das ist der eigentliche Grund dafür, dass wir Weihnachten feiern: das Wunder, dass es Gott nach unten zu seinen Menschen zieht und sie sehen, wer und wie er ist!

Wir Menschen haben in der Regel eher einen Zug nach oben und wollen gerne groß herauskommen. Wir wollen eher bedeutend sein, nicht klein und unbedeutend. Macht und Einfluss spielen eine wichtige Rolle. Und mancher Mächtige spielt sich auf, als wäre er Gott. Aber während wir Menschen versuchen, wie Gott zu sein, tut Gott seinerseits alles, um Mensch zu werden. Selbst, wenn es ihn den Himmel kostet. Er klammert sich nicht an das, was ihm zusteht, himmlische Macht und Herrschaft, sondern er entäußert sich selbst.

Und dann geht dieses alte Christuslied noch einen Schritt weiter. Nicht nur ein Mensch wurde er. Ein Knecht wurde er! In der englischen Bibel (NIV – New International Version) steht: „He made himself nothing.“ Er machte sich zu einem Nichts. Da taucht sofort nicht nur das Bild des ohnmächtigen Babys in der Krippe vor den Augen auf, das auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen ist, sondern auch das Bild des geschundenen und gekreuzigten Gottessohns. He made himself nothing. Gott geht ins Extreme, vom Anfang bis zum Ende. Er bückt sich tief, um ganz nah bei uns zu sein.

„Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ (V. 5) Wenn es Gott so zu seinen Menschen nach unten zieht, dann sollen wir uns nicht mit Wohlanständigkeit und Rechtgläubigkeit zu ihm empor dienen. Wir sollen Gott dann nicht oben suchen, im Himmel, über den Sternen, dort, wo keiner hinkommen kann, sondern unten, in dem Kind in der Krippe und in dem Mann am Kreuz. Dort kann jeder hinkommen. Hirten und Könige. Arme und Reiche. Angesehene und Unangesehene. Auch jeder von uns. Wir sollen dann den Herrn aller Herren suchen bei denen, die hungrig sind. Bei denen, die nackt sind und nichts haben. Bei denen, die geschunden sind, krank und einsam. Bei denen, die Fremde sind. Bei denen, die ohne alles vor Krieg und Terror und Gewalt fliehen mussten und nun in unserer Gegend eine Herberge suchen. Bei den Mühseligen und Beladenen. Dort überall sollen wir den Herrn aller Herren suchen. Das sagt uns Weihnachten. Denn: He made himself nothing. Ein Knecht wurde er. Ein Mensch. Und deshalb ist er dort unter den Menschen und bei den Menschen zu finden, besonders bei denen, die ihn nötig brauchen.

Und es ist tragisch und kaum fassbar, dass es damals Menschen gab, die diese Menschenfreundlichkeit Gottes in Jesus Christus nicht sehen wollten oder konnten. Nicht allen gefiel, was Gott damals tat, als er in dem Kind in der Krippe in diese Welt kam. So hatte man sich das nicht gedacht: Gott bei den Mühseligen und Beladenen. Zuerst bei Maria und Josef, dann bei den Hirten und später bei den Armen und den Kranken und den Kaputten der damaligen Gesellschaft. Der, der von Gott erwartet wurde, der Messias, kam als einer, der sich gleich von seiner ungöttlichen Geburt an mit den Allergeringsten abgab. Das passte nicht ins Bild. Weder ins Bild der frommen Theologen noch ins Bild der weltlichen Obrigkeit. Deshalb hat der König Herodes ihm schon als Baby nach dem Leben getrachtet. Und später wurde er verraten, gefangen genommen und gefoltert. Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben. Dieses alte Anbetungslied zieht Weihnachten und Karfreitag in einem Satz zusammen: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“

Der Kreuzestod Jesu sollte von vorneherein zu seiner Entäußerung dazu gehören. Das Ziel seiner Menschwerdung hatte Jesus erst erreicht, als er, der Gerechte, der Liebe lebte und Freude schenkte, am Kreuz starb. Als das Urteil über ihn gesprochen und an ihm vollzogen wurde. Er erniedrigte sich selbst. He made himself nothing. Der eingeborene Sohn des Vaters starb wenige Jahre, nachdem es das erste Mal Weihnachten wurde, für das, was die Sünde einer ganzen Menschheit ist. Für Gottlosigkeit und Selbstbezogenheit der Menschen. Für böse Gedanken. Für jede Lieblosigkeit. Für die Gleichgültigkeit. Für die Sturheit und Unversöhnlichkeit. Für dich und mich. „Denn Gott ist durch Christus selbst in diese Welt gekommen und hat Frieden mit ihr geschlossen, indem er den Menschen ihre Sünden nicht länger anrechnet.“ (2. Kor. 5, 19 nach Hfa) So deutet der Apostel Paulus das Christusgeschehen etwa zur gleichen Zeit in einem Brief an eine andere Gemeinde in Korinth.

Das ist der Christus Gottes, der Friedefürst, das Kind in der Krippe und der Mann am Kreuz. Das ist der, den Gott vom Tod auferweckte und wieder zu Ehren brachte und dessen Tun er damit für alle Zeit und Ewigkeit bestätigte. Warum Gott vor gut 2000 Jahren diesen Weg ging oder nur gehen konnte, bleibt letztlich ein Geheimnis. Deshalb sind die Weihnachtszeit sowie die Passionszeit seit jeher Zeiten der Besinnung und Einkehr, um diesem Geheimnis begegnen und nachsinnen zu können. Dass wir etwas Anderes aus der Weihnachtszeit gemacht haben, ist ein anderes Thema. Aber das können wir ja ändern.

In diesem Lied werden zum Schluss die beiden Körperteile genannt, auf die es in der Weihnachtszeit und im Glauben generell ganz besonders ankommt: Knie und Zunge. Die Knie beugen vor dem herunter gekommenen Gott, der uns in Jesus begegnet und erkennbar wird, und ihn bezeugen vor den Menschen. Das wäre eine angemessene Antwort auf das Geheimnis der Weihnacht.

Ein Artikel von Christoph Stiba