Gradlinigkeit statt Vertuschungen

BEFG-Präsident Riemenschneider würdigt frühere EKD-Ratsvorsitzende Käßmann

Marl/Wustermark – Der Präsident des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG), Hartmut Riemenschneider (Marl), zollt der zurückgetretenen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann Respekt. Sie hatte nach dem Bekanntwerden einer Alkoholfahrt mit 1,54 Promille alle ihre kirchlichen Ämter niedergelegt. „Sie hat einen schweren Fehler begangen. Aber ihre Entschuldigung und ihr Rücktritt zeigen Gradlinigkeit“, schreibt Riemenschneider in einen Kommentar, der an alle BEFG-Gemeinden per Mail verschickt wurde. Er fügt hinzu: „Damit ist sie ein Vorbild, wie man auch auf Versagen reagieren kann – eben nicht wie so oft üblich mit Vertuschungen und Erklärungen.“ Für die EKD sei ihr Rücktritt ein herber Verlust. In ihrer öffentlichkeitswirksamen Präsenz habe Margot Käßmann aber auch für andere Evangelische wie die Freikirchen mitgesprochen: „Ihre mutige und klare Stimme wird fehlen.“ Gleichzeitig sei ihr Rücktritt ein Gewinn an Glaubwürdigkeit.

Für eine Kultur des Scheiterns

Nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Gemeinden sei eine Kultur des Scheiterns nötig, schlägt Riemenschneider vor. Der christliche Glaube stehe für die Chance des Neuanfangs, „weil er die Schuld ernst nimmt, ebenso aber auch die Kraft der Vergebung“. Der Glaube dürfe nicht dazu benutzt werden, Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen. Christliche Ethik dürfe auch nicht zu einem Sündenvermeidungsstress werden, der jegliche Glaubens- und Lebensfreude erstickt. „Sünde einzugestehen und Vergebung zu empfangen, sollte auch in unseren Gemeinden selbstverständlicher sein“, mahnt der Freikirchenpräsident. Dann könne sich echte Glaubens- und Lebensfreude entfalten.

Ausgeschlossenen mit Liebe begegnen

Das menschliche Versagen hatte Riemenschneider indirekt auch in einem Kurzkommentar in dem Magazin ideaSpektrum angeschnitten, das ihn befragt hatte, wie der BEFG es mit der Gemeinde- oder Kirchenzucht und dem Gemeindeausschluss halte. Nötig sei immer das seelsorgerliche Gespräch, so Riemenschneider. Oft benötigten Menschen viel Zeit, um ihr Verhalten zu überdenken. So lange dieses Nachdenken erkennbar sei, müsse eine Gemeinde das aushalten und dürfe nicht  vorschnell aufgeben. Auch auf ausgeschossene  Menschen müsse mit Liebe zugegangen werden: „Denn das Ziel von Gemeindezucht ist es, Menschen zur Umkehr einzuladen und zu einem klaren Lebenszeugnis zu ermutigen.“ Er räumte ein, dass es im Blick auf die Gemeindezucht keine einheitliche Regelung im BEFG gebe. Unverheiratet zusammenlebende Paare würden etwa in manchen Gemeinden seelsorgerlich betreut, in anderen dürften sie nicht mitarbeiten, in wieder anderen würden sie ausgeschlossen. Statt eines Ausschlusses praktizierten viele Gemeinden nur noch eine Streichung der Mitgliedschaft. 2008 habe es 444 Streichungen und 40 Ausschlüsse gegeben.
Mit einer solchen Entscheidung wolle man dem Betreffenden zeigen, dass er nicht vom Reich Gottes ausgeschlossen sei, sondern dass er sich mit seinem Verhalten außerhalb der Gemeinde befinde.

Ein Artikel von Klaus Rösler