Neu nachdenken über die Geschichte der Frau in Kirche und Bibel

9. Internationale Baptistische Konferenz für Theologische Ausbildung

Vom 5. bis 7. Juli fand in Nassau auf den Bahamas die 9. Internationale Baptistische Konferenz für Theologische Ausbildung (Baptist International Conference on Theological Education – BICTE) als Vorkonferenz zum jährlichen Delegiertentreffen des Baptistischen Weltbunds, der Baptist World Alliance (BWA) statt. Mit 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 33 Ländern war es die bisher größte Konferenz, zu der die BWA-Kommission für Theologische Ausbildung alle fünf Jahre einlädt. Dies war unter anderem dem Thema „TogetHER: Re-Imagining, Re-Reading HERstory in the Church“ (Gemeinsam: IHRE Geschichte in der Gemeinde neu erinnern und neu lesen) zu verdanken. Im Zentrum der Überlegungen und Vorträge stand der (pastorale) Dienst von Frauen.

Molly Marshall (USA), Präsidentin des Central Baptist Theological Seminary, beleuchtete die besondere Leistung von Frauen im pastoralen Dienst. Ihre einzigartigen Begabungen würden einen wichtigen Beitrag zur positiven Veränderung von christlicher Identität und Praxis bilden. Marshall stellte besondere (Geistes-)Gaben von Frauen heraus, auf die die Kirche nicht verzichten sollte, zum Beispiel, dass Frauen, gerade dadurch, dass ihre Rolle oft hinterfragt wird, ihren Dienst nicht selbstverständlich nähmen, sondern als ein Privileg sähen. Außerdem würden Frauen Bibeltexte aus ihrer Perspektive anders sehen, worin eine notwendige Ergänzung zur herkömmlichen patriarchalen Sichtweise bestehe. Frauen im pastoralen Dienst vermittelten außerdem ein anderes Gottesbild. Allein durch ihre Präsenz und ihre Art zu predigen, würde Gott nicht mehr so einseitig männlich wahrgenommen werden können. Die Person der Predigerin könne nicht ein zu eins auf Gott projiziert werden. Frauen befassten sich darüber hinaus mit den Anforderungen des Lebens auf eine realistische Weise. Marshall bezog sich hier auf eine Studie, in der verschiedene Arten spezifisch weiblichen Wissens nachgewiesen wurden. Frauen verstünden unter anderem, dass Wissen durch die perspektivische Voreingenommenheit und den sozialen Ort geprägt sei. Entscheidende Bedeutung hätten dabei Empathie und das Wahrnehmen von Nuancen. Frauen hätten gelernt, scheinbare Unmöglichkeiten zu bewältigen und sähen die Komplexität gebrechlichen menschlichen Lebens. Diese Qualitäten könnten, so Marshall, gerade Frauen in Leitungsgremien einbringen. So würden sie zu einem Werkzeug der Gnade Gottes. „Marshall schlussfolgerte, dass die Gemeinde diese Gaben der Frauen im pastoralen Dienst wie nie zuvor brauche, wenn sie sich als zuverlässige Haushalterin (der Gaben Gottes) erweisen wolle.“

Textinterpretation bei Bibelübersetzungen

Im Zentrum baptistischen Interesses steht die Bibel, denn auf ihrem Zeugnis beruht der christliche Glaube. Valérie Duval-Poujol (Frankreich) zeigte in ihrem spannenden und fundiert recherchierten Vortrag auf, welchen Einfluss Bibelübersetzungen auf das Engagement von Frauen in Gemeinde und Gesellschaft haben. Sie wies sehr präzise nach, dass viele Bibelübersetzer dort, wo sie die Wahl haben, Entscheidungen in einer geschlechtsbezogenen Perspektive treffen. In der Übersetzung neutestamentlicher Texte wird zum Beispiel das griechische Wort für Mensch (anthropos) häufig mit „Mann“ wiedergegeben. Auch in Bezug auf den „Peritext“ – wie ein Text in Verse und Abschnitte gegliedert wird, wie interpunktiert wird oder welche Überschriften gesetzt werden – sind Entscheidungen der Übersetzer oft gegen die Stärkung der Rolle von Frauen in Kirche und Gesellschaft ausgefallen. Gerade anhand der verschiedenen Übersetzungen wird deutlich, dass wir hier Gottes Wort in einer menschlichen Übersetzung, das heißt verbunden mit den Entscheidungen und Interpretationen der Übersetzerinnen und Übersetzer haben, die ihrerseits durch ihre (eventuell patriarchale) Kultur geprägt sind. Duval-Poujol wies darauf hin, dass wir als Theologinnen und Theologen besonders gefordert sind, genau in den Text zu schauen, um die eigentliche Intention zu erfassen.

Pastoraler Dienst von Frauen im Baptismus

Welchen Platz haben Frauen in einer baptistischen Theologie des Dienstes? Dieser Frage ging Paul Fiddes (Regents Park College – England) nach. Er stellte insbesondere heraus, dass Baptisten, wenn sie sich an Grundentscheidungen in ihrer eigenen Theologie erinnerten, den pastoralen Dienst von Frauen unterstützen müssten. Wesentlich für einen Dienst in der Gemeinde sind aus baptistischer Sicht die Berufung durch Christus und die Bestätigung durch die Gemeinde. Wo beides vorliegt stellt sich dann nicht die Frage des Geschlechts. Dies war in England ab 1922 in mehreren Situationen der Fall. Frauen, die sich von Christus zum pastoralen Dienst berufen fühlten, wurden durch die Gemeinde bestätigt. Die Baptist Union of Great Britain and Ireland schuf dann folgerichtig im Jahr 1926 die formalen Rahmenbedingungen dafür. Auch schon vorher (im 17. Jahrhundert) gab es in englischen Baptistengemeinden begabte, und von Christus zum pastoralen Dienst berufene Frauen, nur hat die Gemeinde damals (beschämenderweise aus der Sicht des Referenten) diese Berufungen nicht bestätig und die Frauen wurden nicht zu Pastorinnen ordiniert. Neben Berufung, Bestätigung durch die Gemeinde und Begabung sind innerhalb der baptistischen Perspektive ein weiterer Grund für die Ordination von Frauen die Menschenrechte. Positionen wie „gleich aber anders“ oder „Komplementarität“, die Frauen zwar die generelle Gleichheit vor Gott zugestehen, aber gegen die Ordination von Frauen argumentieren, müssten gründlich hinterfragt werden. Dass Christus das Haupt der Gemeinde sei, sei ein wesentlicher Aspekt des baptistischen Gemeindeverständnisses. Von daher ist die Argumentation, dass der Mann das Haupt der Frau sei und daher auch der Gemeinde vorstehen muss, unbegründet. Es gibt nur ein Haupt der Gemeinde und das ist Christus. Das kann nicht durch menschliche Leitung ersetzt werden. Ferner ist aus baptistischer Sicht eine Beteiligung von Frauen bei der Austeilung des Abendmahls unbedingt erforderlich, entgegen anderen theologischen Positionen, die aufgrund eines sakramentalen Verständnisses für die Austeilung einen Priester fordern. Nur Frauen und Männer gemeinsam könnten den ganzen „Leib Christi“ so verkörpern, wie er auch im Abendmahl symbolisiert wird, so Fiddes. In frühen Baptistengemeinden war es darüber hinaus eher üblich, eine Gemeinde kollegial im Team zu leiten zum Beispiel in einer Gruppe von Ältesten, von denen einer den Vorsitz hatte. Heute findet man dies in größeren Gemeinden, die von einem Pastorenteam geleitet werden. Schon der Generalsekretär der Britischen Baptisten forderte 1918 einen „neuen Platz von Frauen in der sozialen Ordnung“ und hoffte, „dass sie nicht länger vom höchsten Dienst in der Gemeinde ausgeschlossen würden“. Auch aus der Sicht des Referenten gäbe es gerade jetzt keine Entschuldigung mehr, Frauen von bestimmten Diensten in einer Gemeinde auszuschließen. Fiddes beendete seinen Vortrag mit dem Fazit, dass aus baptistischer Sicht klar sei, dass alle Arten ordinierten Dienstes ihren Platz in der Berufung durch Christus und der Bestätigung durch seine Jünger hätten, und nirgendwo sonst.

Die Geschichte von Akiko Matsumara, die in der 70er Jahren auch Vizepräsidentin der BWA-Frauenarbeit war und als Pionierin für den pastoralen Dienst von Frauen gelten kann, wurde von Eiko Kanamaru (Japan) als Beispiel für weibliche baptistische Spiritualität in Japan erzählt.

Zwei weitere Vorträge von André Bokundoa-Bo-Likabe, Präsident der Church of Christ in Congo, über das Versöhnungswerk Jesu Christi und unseren verantwortlichen Umgang damit – wir sollen herauszufinden, was für alle gut ist, ohne Diskriminierung – und von Regina Sudheer-Alexander über ihre Berufung, ihr Leben und ihre Arbeit mit Angehörigen der „Unberührbaren“ in Indien rundeten das inhaltliche Programm ab.

Theologisch fundiertes Panoptikum konkreter Themen

Auf alle Vorträge gab es jeweils anschließend Antworten aus drei verschiedenen Perspektiven. Theologische Lehrerinnen und Lehrer verschiedener baptistischer Hochschulen und Seminare hatten sich im Vorfeld eingehend mit den wesentlichen Punkten der Vorträge befasst und antworteten darauf aus ihrer Sicht. So ergab sich ein vielfältiges, theologisch fundiertes Panoptikum konkreter Themen, das über den Materialdienst der BWA allen Interessierten zu Kenntnisnahme und den Bünden zur Diskussion zur Verfügung steht. Es bleibt zu hoffen, dass die einzelnen Gemeinden und Unionen, die im Hinblick auf den Dienst der Frau als Pastorin Diskussionsbedarf haben, diese Materialen zur Kenntnis nehmen und sie diskutieren.

Abschlusspodium: „Frauen im pastoralen Dienst ermutigen“

„Frauen im pastoralen Dienst zu ermutigen“ war das Motto des Abschlusspodiums. Hier beantworteten theologische Lehrerinnen und Lehrer aus vielen verschiedenen Ländern diverse Fragen der Teilnehmenden, wie zum Beispiel: „Wie habt ihr Diskriminierung von Frauen erlebt? Und wie kann sie überwunden werden?“ „Wie überlebt man den Schmerz der mangelnden Anerkennung durch die Gemeinden oder auch Attacken und Ungerechtigkeiten von Kollegen im Dienst?“ Zum Abschluss des Plenums stellte der amtierende Präsident der BWA, Paul Msiza, die Position der Baptist Convention of South Africa deutlich heraus: Nach dem Ende der Apartheid war den Verantwortlichen bezüglich der Entscheidung im Hinblick auf den pastoralen Dienst klar, dass sie hier keine Unterscheidung zwischen Männern und Frauen machen wollten. Nachdem sie jahrzehntelang durch die weiße südafrikanische Bevölkerung unterdrückt wurden, sahen sie in einer Ungleichbehandlung von Frauen und Männern eine andere Form von Apartheid. So entschied die Baptist Convention of South Africa den Dienst der Frau als Pastorin einzuführen.  

Resolution verabschiedet

Aus der Tagung erwachsen ist eine „Resolution zur Anerkennung und Bestätigung der Berufung von Frauen in der Gemeinde“ die auf der nachfolgenden Ratstagung der Baptist World Alliance mit nur zwei Gegenstimmen angenommen wurde. Die letzte BWA-Resolution, in der der Dienst von Frauen in der Gemeinde bekräftigt wurde, wurde 1988 ebenfalls in Nassau verabschiedet. In der jetzigen Resolution wird dazu aufgerufen, „die vielfältigen Gaben und das Feingefühl zu würdigen, die Frauen in den Dienst Jesu Christi und in das Werk der baptistischen Familie auf der ganzen Welt einbringen“ und „den Mitgliedsunionen zu empfehlen, die Befähigung von Frauen und das Einbringen ihrer Gaben biblisch fundiert und gewissenhaft zu fördern.“ Baptisten und Baptistinnen werden dazu aufgerufen, „für die Lehren und Praktiken Buße zu tun“, die „verhindert haben, dass Frauen, als Menschen geschaffen nach dem Bilde Gottes und als vollgültige Glieder des Leibes Christi, aufblühen.“ Die Gemeinden sollen für die Kraft des Heiligen Geistes, die Veränderung bewirken will, offen sein, damit sie „die von Gott gegebene Berufung von Frauen zum Dienst in der Kirche“ bekräftigen können. BWA-Mitglieder sollten auch „eine Sprache verwenden, die in Gottesdienst, Kommunikation und Veröffentlichungen, einschließlich Bibelübersetzungen, sowohl Frauen als auch Männer bejaht“ und „gezielt darauf hinarbeiten, dass Frauen in allen Führungspositionen den gleichen Raum erhalten, sowohl in den Gemeinden, wie auch in baptistischen Bünden und Unionen und in der Baptist World Alliance.“

Ein Artikel von Prof. Dr. Andrea Klimt