Nonkonformismus, Freiheit und Demokratie

Freikirchliche Minderheiten in England und Nordamerika setzten Freiheitsimpulse der Reformation um

„Das Erbe des Nonkonformismus – Von der Reformation zur Moderne“ stand im Mittelpunkt des Symposium der Gesellschaft für freikirchliche Theologie und Publizistik (GfTP) vom 9. bis 11. Oktober 2015 an der Universität Oldenburg. International hochkarätig besetzt, lieferte die Tagung einen profilierten Beitrag aus „nonkonformistischer“ Perspektive zum anstehenden Reformationsjubiläum 2017: Die in der Theologie Luthers und anderer Reformatoren angelegten Freiheitsimpulse seien nicht im staatskirchlichen Protestantismus, sondern erst in den nonkonformistischen (freikirchlichen) evangelischen Minderheiten, vor allem in England und Nordamerika, in freiheitliches und demokratisches Denken und Handeln umgesetzt worden.  


Mit dieser These bezog sich die vom Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden mitveranstaltete Tagung auf die Jubiläumsaktivitäten im Vorfeld von 2017, deren durchgehendes Leitmotiv der Zusammenhang von Reformation, Freiheit und Demokratie ist.

Der Begriff „Nonkonformismus“ hat seinen Ursprung im England des 16. und 17. Jahrhunderts, als von allen Untertanen „Konformität“ mit der Staatskirche gefordert wurde - religiöse Abweichler waren daher automatisch immer auch politische Oppositionelle. Der religiöse Nonkonformismus sei der „Subtext sozialer Reformbewegungen“, hieß es auf der Tagung. Die Kirchengeschichtlerin Andrea Strübind (Universität Oldenburg) eröffnete das Symposium mit einem Vortrag über die maßgebliche Rolle, die Max Weber und Ernst Troeltsch, die Pioniere der deutschen Soziologie um 1900, den englischen und amerikanischen Nonkonformisten (Baptisten, Quäkern und Methodisten) an der Entstehung der modernen freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft zuschrieben. David Bebbington, Professor für Geschichte an der Universität Stirling (Schottland), zeigte auf, dass die Nonkonformisten oder „Dissenter“ im 17. und 19. Jahrhundert treibende Kraft der Liberalisierung und Demokratisierung der englischen Gesellschaft waren.

Martin Rothkegel (Theologische Hochschule Elstal) erinnerte daran, dass Luther die Ableitung politischer Freiheitsforderungen aus der „Freiheit des Christenmenschen“ ausdrücklich ablehnt. Dagegen findet sich die politische Forderung nach uneingeschränkter Religionsfreiheit bereits bei den Täufern des 16. Jahrhunderts. Der erste moderne demokratische Staat wurde 1636 durch den (zeitweiligen) Baptisten Roger Williams im nordamerikanischen Rhode Island gegründet.
Der Theologe und Historiker William Brackney (Acadia University, Kanada) machte auf den maßgeblichen Anteil von Quäkerinnen, Methodistinnen und Unitarierinnen an den Anfängen der Frauenemanzipation aufmerksam. Erich Geldbach (Marburg), Massimo Rubboli (Genua), Karl Heinz Voigt (Bremen) und weitere Referenten referierten über Religionsfreiheit, Abschaffung der Sklaverei, Pazifismus, Bildungs- und Lebensreform als Schwerpunkte des zivilgesellschaftlichen Engagements englischer und amerikanischer Freikirchen vor allem im 19. Jahrhundert.

Die Verwurzelung des amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr. in den Traditionen des nonkonformistischen Protestantismus beleuchtete abschließend der Leiter der Evangelischen Akademie Neudietendorf, Michael Haspel. In den Diskussionen auf dem Symposium wurde deutlich, dass es auch für den deutschen Baptismus eine Aufgabe bleibt, aus dieser Tradition zu schöpfen. Die Thematik der Tagung wurde am Sonntag in der Predigt des ehemaligen Generalsekretärs des Ökumenischen Rats der Kirchen, Konrad Raiser (Berlin) über Römer 12,2 in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Oldenburg aufgenommen: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich – werdet Nonkonformisten.“

Ein Artikel von Martin Rothkegel und Oliver Pilnei