Foto: Jutta Engelage

Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion

Statement zum 75. Jahrestag des Kriegsendes

Vor 75 Jahren endete in Europa der Zweite Weltkrieg. Die Zerstörungen dieses von Deutschland angezettelten Krieges haben Folgen bis in die Gegenwart. Bis heute leiden Menschen unter dem Tod ihrer Eltern und Großeltern oder eigenen traumatischen Erlebnissen. Im perversen nationalsozialistischen Rassenwahn wurden durch Deutschland ca. 6 Millionen europäische Juden systematisch ermordet. Die Herrschaft der Nationalsozialisten kostete Millionen das Leben, sie vergiftete das Klima unter den Nationen und führte zur Vertreibung von Millionen Menschen, die ihre Heimat verloren. Die Traumata der Vergangenheit prägen auch die Nachgeborenen. Noch heute sind wir verantwortlich, die Wunden zu heilen und Versöhnung zu leben.

Dieser Aufgabe haben sich seit dem Krieg alle Generationen gestellt. Dabei – so sehen wir im Rückblick – fiel die Versöhnung mit den Völkern im Westen leichter als die mit den Völkern im Osten, besonders mit den Menschen in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten. Hier wirkte ein nationalistisches Überlegenheitsgefühl nach. Das rassistische Gift, Menschen und Völker als minderwertig zu betrachten, zeigt bis heute Wirkung.

Baptisten und Brüder begrüßten damals den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion und schwiegen zur massenhaften Ermordung von Juden, Russen, Ukrainern, Polen und Angehörigen vieler anderer Nationen. Etwa 20 Millionen Sowjetbürger starben durch Waffengewalt oder verhungerten durch den Entzug von Lebensmitteln durch die Deutschen. Ihre schrecklichen Erlebnisse mit der Brutalität des Krieges besonders im Osten brachten die Rückkehrer nach Kriegsende nach Deutschland zurück, was auch unter Deutschen tiefe Wunden riss.

In der Zeit der Teilung Deutschlands und angesichts politscher Verfolgung der Christen in der Sowjetunion wurde das Thema einer Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion nur zaghaft angegangen. Am ehesten im Bund in der DDR, wo die Verbindungen nach Osten früher wieder aufgegriffen wurden.

Nach der politischen Wende und der nuklearen Katastrophe von Tschernobyl entwickelten viele Gemeinden und Einzelne beeindruckende Hilfsprojekte, die zur Heilung der Erinnerung beigetragen haben. Christen und Nichtchristen öffneten den Deutschen die Tür und ermöglichten Versöhnung. Vor und nach der Wende war die Europäische Baptistische Föderation (EBF) ein wesentlicher Brückenbauer unter den einst verfeindeten Völkern. Inzwischen misstrauen sich die Völker Europas wieder zunehmend. Die Angst voreinander nimmt zu.

Im Rückblick haben wir es versäumt, deutlicher für eine Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion einzutreten. Seit einigen Jahren versuchen wir, uns hier stärker zu engagieren. Mit Blick auf den russischen Baptistenbund bauen wir weitere Beziehungen auf, die wir in Zukunft nach Möglichkeit noch intensiver gestalten wollen.

Wir bedauern, dass wir dem andauernden Rassismus, Nationalismus wie dem Antisemitismus nicht stärker widerstanden haben. Heute sind wir aufgerufen, aktiv für Versöhnung unter den Menschen einzutreten, die unter Fremdenfeindlichkeit und Hass leiden. Das gilt für alle Völker und Nationen. Wir wollen unsere Verantwortung für ein friedliches Leben in dieser Welt wahrnehmen und für Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen eintreten, damit wir dem offen nach Außen getragenen Hass widerstehen und ihm in unserer Gesellschaft keinen Raum geben. Es liegt auch an uns und unserer vom Evangelium getragenen Haltung.

Das Präsidium des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden im Mai 2020