Vom Dunkeln zum Licht

Die Jahreslosung künstlerisch gestalten

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“, so der Künstler Paul Klee. Bei einem Workshop der Evangelisch-Freikirchlichen Akademie Elstal haben die Teilnehmenden die Jahreslosung sichtbar gemacht. Teilnehmerin Carla Fischer beschreibt den künstlerischen Weg vom Dunkeln zum Licht.

Man sieht eine bunte Mischung von Menschen an diesem Morgen in der Bernhard-Göring-Straße. Eine bunte Mischung von Gesichtern und Ausdrücken darin, von Erwartungen, Nationalitäten und Altersgruppen. Ulrike Korn, freischaffende Künstlerin und Mitglied der Baptistengemeinde Leipzig, begrüßt die einzelnen Teilnehmenden, stellt sie einander vor und verbindet jeden im Raum mit einem Lächeln.

Künstlerisch wird heute die Jahreslosung „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24) gestaltet und verstanden, erspürt und erfasst. Dabei geht es ebenso um die Schaffenden wie um das zu Schaffende, geht es um die Verbindung zwischen dem Künstler und seinem Werk, um die Inspiration und die Welt, die sich zwischen diesen Pfeilern spannt. Und so beginnt der Tag, indem ein jeder seinen Namen in ein schwarzes Kärtchen ritzt, wodurch die Buchstaben leuchtend bunt zum Vorschein kommen und ganz bewusst ein Sinnbild für die Personen hinter den Namen werden: einzigartig und wunderbar – ein Gefühl der Wertschätzung, das Leitmotiv des Workshops wird.

Die einen suchen Anschluss und Gemeinschaft, die anderen Inspiration für den Alltag und schlichtweg Neues. Doch jeden Einzelnen verbindet das Interesse an der Kunst und eine starke Identifikation mit der Losung – das Pendeln zwischen Glaube, Unglaube und Hoffnung und der Wunsch den Bibeltext für sich mit mehr anzureichern als den eigenen Assoziationen und Gefühlen.

„Vom Dunkeln zum Licht“ ist der Titel der ersten Arbeitsphase und während sich alle um eine lange Straße aus Papier versammeln, verteilt Ulrike Paletten mit schwarzer Farbe und ermutigt die Teilnehmer diese zu mischen, dem Schwarz ein Gesicht zu geben. Denn: „Schwarz ist nicht gleich Schwarz!“. Und während erst zögerlich und dann immer mutiger gewalzt und gestrichen wird, schließt sich die dunkle Fläche – wortwörtliche Dunkelheit. Ein Anfangspunkt und Basis für das, was da noch folgen wird. „Malt Licht!“ ist die zweite Anweisung und plötzlich kommt Bewegung in die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Für die einen ist Licht ein helles Blau, für die nächsten Orange, Gelb oder die Mischung aus Farben. Bunt wird es und die Papierstraße zur Lichtstraße zwischen den Künstlern. Keiner arbeitet mehr an nur einem Bild, es wird ein Gemeinsames geschaffen – die Plätze getauscht. „Vertrauen“ nennt es eine der Teilnehmerinnen. Das sei es was man hier lerne. Seine in Acryl gebrachten Gedanken und Gefühle dem nächsten zu überlassen, sie abzugeben, sich zu öffnen und sich nicht hemmen zu lassen im eigenen Empfinden. „Freiheit“ nennt es eine andere. „Allein bin ich eingeschränkt“ sagt sie. In der Gruppe führt der Gedanke des einen zum Gedanken des anderen. Alles fließt ineinander über und alles, was entsteht, ist neu und gemeinsam.

Künstlerin Ulrike Korn

Die jüngste Teilnehmerin

... hilf meinem Unglauben!

Der Pastor André Krause beschäftigt sich hingegen mit dem Text an sich, lässt die Teilnehmenden die Energie der Bibelstelle erspüren, lässt sie in verteilten Rollen lesen und eröffnet dadurch einen weiteren Zugang, der all das, was noch kommt, unterfüttert. Gemeinsam erschließt sich die Gruppe im Gespräch Höhe- und Tiefpunkt des Textes und findet zum Zentrum, zur Kernaussage: dem diesjährigen Losungstext. Ein Hilferuf in tiefster Not, getragen von dem Spannungsverhältnis zwischen Glaube und Unglauben. Diesen zwei Beinen, auf denen wir stehen, diesen zwei Polen in jedem von uns und dazwischen das Seil, auf dem wir alle balancieren. Und wieder kommen wir zurück auf den Vertrauensgedanken: die Notwendigkeit von Vertrauen, auch in größter Verzweiflung. Vertrauen auf Gott und Jesus, auf Heilung und Vertrauen ins Gebet. Drum ist „balancieren“ vielleicht doch nicht der richtige Begriff, denn wir dürfen uns tragen lassen. „Wir müssen uns nicht festklammern.“ Erzählt eine weitere Teilnehmerin und beschreibt die Erfahrung eines anderen Gemeindemitglieds. Es ist kein Kraftakt, zu glauben und kein Kraftakt bei Gott zu sein, denn er ist immer da und hält uns, wo wir gehen und stehen.

„Hilf meinem Unglauben.“ Lesen die Teilnehmenden in ihren unterschiedlichen Muttersprachen und fast ist es, als sei es eine einzige. Denn die Kraft der Worte ist für jeden spürbar, ganz egal, ob man der Sprache mächtig ist. Und so verbreitet sich langsam ein Verstehen, neue Assoziationen und tatsächliche Gemeinschaft auf diesem Weg, den alle zusammengehen. Und so beginnen wir im nächsten Schritt uns selbst darin zu reflektieren, suchen uns und unsere Glaubenssätze in dem geschaffenen Bild. Jeder schneidet postkartengroße Flächen heraus, sucht sich seinen Blick auf die Welt und so stobt die Lichtfläche auseinander, in viele kleine Blätter, jedes eine Geschichte, ein Aspekt – eben jedes ein Glaubenssatz. Immer wieder verweist Ulrike dabei auf Paul Klee mit seinem berühmten Satz: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ Vom Dunkeln zum Licht. Alles scheint ineinander zu greifen, sich wiederaufzunehmen. So auch die unterschiedlichen bildnerischen Mittel, welche ebenfalls laut Paul Klee Voraussetzung seien, um Gefühle auszudrücken, sich zu artikulieren. Herauskratzen, helle Buchstaben auf dunklen Grund, aufmalen, bunte Farben auf schwarzer Fläche, den eigenen Blickwinkel suchen und nun die Linie. Zeichnen, mit Wachsstiften auf schwarzem Papier. „Einen Spaziergang“ nennt es Ulrike und verweist auf die schöpferische Konfession Klees. Die Linie geht nach vorne, um einen Acker herum, zurück. Neue Welten entstehen auf dem Papier und die Künstler finden nicht nur zu ihrer eigenen Ausdrucksweise, sondern üben sich schon in dem, was nun auf sie wartet. Der Stencil-Technik folgend fertigt jeder mithilfe eines selbstgewählten Fotos eine Schablone und sprayt das Bild mit Farbdosen auf eine Leinwand. Neben den Einzelwerken entsteht auch ein weiteres Gemeinschaftsbild. „Die Gemeinde ist der Leib – und jedes seiner Glieder gleich wichtig“, sagt Ulrike und tatsächlich ist aus den Teilnehmenden eine Gemeinde geworden, geprägt von gegenseitigem Vertrauen und Liebe, geeint im Glauben und dem Blick auf das Licht im Dunkeln. So geht jede und jeder nach diesem außergewöhnlichen Tag getragen und bereichert – bestätigt und ruhig.

Ein Artikel von Carla Fischer