GUT BERATEN

Rückzug aus der Gemeinde - warum?

Konflikte in der Gemeinde sind eine Herausforderung, die meistens bewältigt wird, manchmal mit externer Unterstützung. Aber wenn sich langjährig aktive, hochmotivierte Mitarbeiter aus dem Gemeindeleben zurückziehen, werden die Gründe oftmals nicht kommuniziert.

Was mag dahinter stecken? Und wo liegt vielleicht unser eigener Anteil dabei? Nutzen wir ein in der Beratung bewährtes Erklärungsmodell, um unseren Teil der Verantwortung zu suchen, um Rückzüge, innere Kündigungen oder sogar Austritte zu verhindern. Im Menschen sind Grundbedürfnisse tief verankert: Essen, Trinken, Schlafen usw. Unbestritten ist, dass auch die Psyche Nahrung braucht, die das Überleben des Menschen sichert. Bereits der Prophet Jeremia schreibt in Kapitel 31,25 „… dass müde Seelen erquickt und die bekümmerten Seelen gesättigt werden.“ Wonach also hungert es unseren Seelen?

Es gibt Bedürfnisse (Hunger), deren Befriedigung Motivation und Ziel allen menschlichen Verhaltens ist.  Jeder Mensch strebt danach, diesen Hunger gestillt zu bekommen oder Situationen zu vermeiden, die eine Bedrohung der Bedürfnisse darstellen. Verdichtet man die Bedürfnisse,  kristallisieren sich laut Klaus Grawe folgende Grundbedürfnisse heraus („Neuropsychotherapie“ (Hogrefe 2004):

Hunger nach Sinnhaftigkeit

Der Mensch möchte sein Leben in einen größeren Sinnzusammenhang stellen können und Ereignisse, die ihm wiederfahren, in diesen hineinstellen. Hier liegt der Wunsch nach Glauben, Religiosität und Spiritualität begründet.

Hunger nach Kontrolle und Selbstständigkeit

Menschen streben danach, sich einen Handlungsspielraum zu erarbeiten und eigene Entscheidungen zu treffen. Selbst der Schritt für ein Leben im Glauben wird uns nicht übergestülpt, es bleibt unsere freie Entscheidung.

Hunger nach Beziehung und Nähe

Der Mensch braucht Nähe zu Anderen und das Gefühl, dazu zu gehören. Darin sind unsere Gemeinden gut. Sie bieten eine Struktur, die von manchen mit der einer Familie verglichen wird.

Hunger nach Bestätigung, nach Selbstwerterhalt

Das Bedürfnis, sich als wertvoll zu erleben und von anderen akzeptiert zu werden, hat eine hohe Bedeutung, es unterscheidet uns von höher entwickelten Säugetieren. Es werden Qualitäten benötigt, die nur der Mensch besitzt: das Bewusstsein seiner Selbst als einzigartig und die Fähigkeit zu reflektiertem Denken.

Das positive in unseren Gemeinden: sie bieten einen großen Entfaltungsspielraum für Engagement-willige. Jeder kann seine Gaben einbringen, so wie es dem Bild des Körpers mit seinen Gliedern entspricht. Wenn sich jemand engagiert, aber das Empfinden hat, die erfahrene Wertschätzung ist dem Engagement nicht angemessen, fühlt er seinen Hunger nach Selbstwerterhalt nicht erfüllt. Er wird sich auf die Suche begeben, wo er diesen Hunger stillen kann. Oder er zieht sich zurück, weil er einer Entwertung aus dem Weg gehen möchte. Der Umgang miteinander verlangt nach einer Sensibilität für den Hunger nach Wertschätzung. Hier ist besonders wichtig: Wertschätzung  sollte nicht nur für Geleistetes erfolgen. Es sind keine Einzelschicksale, wenn langjährige Verantwortungsträger in der Gemeinde nach ihrer Amtszeit wenig Beachtung erfahren. Zählen auch bei uns nur Produktivität und Effizienz und hat nur das (oder der) eine Daseinsberechtigung, der für etwas gut ist? Rückzug passiert, wenn Menschen sich nicht als Person wertgeschätzt wissen und man sich nicht um ihrer selbst willen müht.

Die Berücksichtigung der Grundbedürfnisse kann als Erklärungsmodell im Miteinander und in der Reflektion des eigenen Handelns und eigener Empfindungen dienen und zu einem nachsichtigeren und empathischen Umgang mit Anderen und mit sich selber führen.

Heidrun Hoffmann-Taufall, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Einbeck und Mitglied im Fachbeirat "Beratung von Gemeinden"

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