Beim Hingehen erlebt

Freudenfest im Himmel

Taufgottesdienst in einer Berliner Gemeinde. In den ersten Reihen sitzen vier Frauen und dreizehn Männer in weißer Kleidung. Siebzehn Menschen werden an einem Sonntag getauft!

Ich wollte das sehen und miterleben, weil ich in den letzten Wochen so viel darüber gehört habe: es gibt eine große Bewegung von Menschen aus dem Iran und Afghanistan, die zum Glauben an Jesus und zur Taufe in unseren Gemeinden kommen. Durch eine Umfrage habe ich festgestellt, dass diese Bewegung in mindestens 35 deutschen Baptistengemeinden angekommen ist. In zehn davon sind in den letzten beiden Jahren mindestens 20 Menschen aus Iran und Afghanistan getauft worden. Wir bekommen hier Anteil an großen Bewegungen im „Haus des Islam“, wie David Garrison sie in seinem äußerst lesenswerten Buch „A wind in the house of Islam“ beschrieben hat. Einige iranische Christen habe ich in den letzten Monaten selbst kennen gelernt.

Und nun sitze ich im Gottesdienst: alle Ansagen und die Predigt werden auf Farsi übersetzt. Vor der Taufe singt ein iranischer Christ ein Lied, bei dem ich nichts vom Text verstehe, aber intensiv spüre: hier ist jemand zutiefst von Jesus bewegt – und das berührt wohl jeden, der zuhört.

Ich sehe während des Gottesdienstes gelegentlich hinüber zu den Täuflingen. Eine Frau winkt kurz herüber zu ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter, die in der Reihe vor mir sitzen. Anderen sieht man den Schmerz an, den sie empfinden, wenn sie an ihr Heimatland und die dort zurückgelassenen Eltern und Geschwister denken. Die meisten von ihnen stecken noch in dem langen und oft verunsichernden Asylverfahren in Deutschland.

Dann steigen sie nacheinander ins Taufbecken. Sie bekommen ermutigende und herausfordernde Bibelworte gesagt. Mir fällt auf, wie unterschiedliche Menschen es sind: große und kleine, kräftige und zierliche, selbstbewusste und schüchterne, einer mit Bart, einer mit Brille, kurzgeschorene Haare, lange Locken. Jede und jeder mit einer eigenen Geschichte, von denen ich nichts weiß.

Und sie alle bekommen nach der Taufe einen Applaus von der Gemeinde und eine Umarmung von der Pastorin. Jede und jeder einzelne ist willkommen bei Gott und Grund für ein Freudenfest im Himmel.

Vielleicht gibt es auch das Gefühl bei langjährigen Gemeindemitgliedern: „Das ist nicht mehr meine Gemeinde! Ich kenne so viele gar nicht, und im Gottesdienst verstehe ich auch nicht mehr alles.“ Ja, denke ich mir: „Da verändert sich gerade sehr viel.“ Und würde gerne darüber reden: „Was genau ist dir an deiner Gemeinde so unverzichtbar wichtig?“

Ich möchte Teil einer Gemeinde sein, in der jeder einzelne Mensch willkommen ist. Und mich freuen, wenn es viele einzelne sind, die dazu kommen.

Thomas Klammt
Juni 2016