Gemeindegründung in der Anfangszeit des Baptismus und heute

Vergleichende Beobachtungen von Hans-Volker Sadlack

„Du hier?“ – Verwunderung steht meinem Gegenüber im Gesicht geschrieben. Soeben hat er den ehemaligen Archivar des Bundes im „Intensivkurs für ehrenamtliche Gemeindegründer“ entdeckt. Staub der Baptismusgeschichte und frischer Wind der Gemeindegründerszene – wie passt das zusammen? Doch lesen Sie selbst.

Rechtslage                                                                                                                     

Anfangs: Wer in der ersten Hälfte des 19. Jh. in Deutschland eine Baptistengemeinde gründen wollte, stand mit einem Bein im Gefängnis. Gemeindegründung wurde als Straftat verfolgt. „Sekten“ hatten keine Existenzberechtigung neben den etablierten Staatskirchen, das stand seit Jahrhunderten fest. Erst die Revolution von 1848 brachte Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, und Gemeindegründung wurde allmählich entkriminalisiert.          
Heute: Gemeindegründung findet zwar nicht im rechtsfreien Raum statt. Steuerrecht, Arbeitsrecht, Haftungsrecht, Urheberrecht, Datenschutz usw. sind zu beachten. Aber grundsätzlich sind Gemeindegründungen in unserem Staat von Rechts wegen keine Grenzen gesetzt.

Von der organischen Folge von Mission…                                                                   

Anfangs: Wenn eine Anzahl Menschen an einem Ort zur Bekehrung und Tauferkenntnis im baptistischen Sinne kamen, sei es durch persönliches Zeugnis durchreisender Handwerker, durch eigenes Bibellesen, durch Schriften aus Onckens Verlag oder durch evangelistische Predigt, dann konnte das Gemeindegründung nach sich ziehen. Typischer Verlauf: Rat suchend wendeten sich die Betreffenden an die Verlagsadresse. Oncken reiste an, prüfte und taufte die Bewerber, leitete eine Abendmahlsfeier und setzte eine Leitung ein. Damit war die biblische Ordnung erfüllt. Der „Boom“ freikirchlicher Gemeindegründungen um die Mitte des 19. Jh. profitierte auch von neuen Freiräumen für die Bürger in Vereinen, Parteien usw. . Unter dem Einfluss der Erweckungsbewegung trafen sich auch Menschen zum Bibellesen und Gebet. Von dort war der Schritt zur Freikirche nicht mehr so weit.

… zum strategischen Mittel für Mission und Transformation

Heute: Gemeindegründung zieht Bekehrung von Menschen und Veränderung des Umfelds nach sich. Typischer Verlauf: Ein Gründer(team) erkundet die Verhältnisse im Zielgebiet, in dem eine Gemeinde gegründet werden soll, bestimmt eine Zielgruppe, die erreicht werden soll und formuliert Kernwerte, die für die Gemeinde gelten sollen. Auf Beziehungen mit der Zielgruppe aufbauend und an deren Bedürfnisse anknüpfend, entwickelt die Gemeinde ihr Profil und Programm, um sie mit dem Evangelium zu erreichen. Dieses strategische Vorgehen reagiert auch auf den zunehmenden Abstand der Lebenswelten heutiger Menschen voneinander und vom christlichen Glauben. Eine Gemeindegründung, die darauf eingehen will, erfordert mehr Vorüberlegung, mehr Vorbereitung und mehr Spezialisierung.

Mono- vs. Multikulturell                                                                                             

Anfangs: „Onckens Mission erstreckte sich über germanisches Siedlungsge-biet!“ (Hans Luckey) Auch jenseits nationaler Grenzen entstanden dadurch Gemeinden, mit Ausnahme von Holland und Dänemark jedoch in „deutschen Sprachinseln“. Resultat: Ein multinationaler Bund mit überwiegend monokulturellen, deutschgeprägten Gemeinden.                                                
Heute: In Zeiten von Globalisierung und Migration gelten auch bei Gemeindegründungen kulturelle Vielfalt und Integration als dem Evangelium gemäß. Einige Gemeinden in Großstädten werden gezielt für Angehörige anderer Kulturen gegründet – viele sogar von ihnen.

Medienpräsenz                                                                                                               

Anfangs: Präsenz in der Öffentlichkeit durch Druckmedien spielte eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Baptistengemeinden – siehe oben. Alle Kanäle wurden zur Schriftenverbreitung genutzt: Onckens Verlagsgeschäft in Hamburg, Kolporteure von Haus zu Haus, reisende Handwerker. Allen Gemeinden empfahl schon die erste Bundeskonferenz 1849 Traktatvereine als Missionsmethode.                                                                                                      
Heute: Erweiterte Medienvielfalt und intensive Mediennutzung lassen Medienpräsenz  schwieriger, aber auch dringlicher erscheinen. Um relevant zu werden für diejenigen, die vorzugsweise in der „digitalen Welt“ kommunizieren und sich informieren, sind Gemeinden, besonders in der Gründungsphase, selbst dort unterwegs. Nicht nur mit einer Adresse – sondern als aktives Gegenüber mit Stimme und Gesicht, in zeitgemäßer Form und Qualität.

Fortbildung                                                                                                           

Anfangs: Bereits im Gründungsjahr des Bundes 1849 begannen in der Hamburger Kapelle mehrmonatige Kurse mit missionarischer Zielsetzung und biblischen Inhalten – vor allem Schriftauslegung und Predigtlehre – erteilt für „Missionsarbeiter“, die bereits evangelistisch sowie in Gemeindegründung und  –aufbau tätig waren, sozusagen berufsbegleitend.                                                     
Heute: Im Vergleich zu konventioneller Gemeindearbeit erfordert Gemeindegründung spezielle Kenntnisse und generelles Umdenken. Denn Gemeindegründung baut mehr auf Beziehungen zu Menschen, die erreicht werden sollen, als auf Aktionen und Veranstaltungen, orientiert sich mehr am Bedarf dieser Zielgruppe als an den Mitgliedern, finanziert sich mehr über Sponsoren als über Mitgliederbeiträge, usw. Hauptamtliche Gemeindegründer spezialisieren sich darauf neben oder nach, neuerdings auch in ihrer theologischen Ausbildung. Daneben startete im Bildungszentrum Elstal 2016 erstmals ein „Intensivkurs für ehrenamtliche Gemeindegründer“. Acht dreitägige Seminare in zwei Jahren vermitteln Denk- und Vorgehensweise von Gemeindegründung und -aufbau sowie Grundlagen in Theologie, Mission, Spiritualität und Kommunikation des Evangeliums in der zunehmend postreligiösen, multikulturellen Gesellschaft. Es unterrichten Fachleute aus der Theologischen Hochschule Elstal, aus dem BEFG und führende Gemeindegründungstheologen aus anderen Freikirchen. Erfahrene Gemeindegründer geben Einblicke in die Praxis.         

Was verbindet also den Staub der Baptismusgeschichte mit dem frischen Wind der Gemeindegründerszene? Beim Eintauchen in die aktuelle Gründungsthematik und Gründerszene ist man dem Pioniergeist baptistischer Gemeindegründer der Anfangszeit so nahe, wie nirgendwo sonst - ihrem starken Gottvertrauen, ihrer enormen Hingabe- und Risikobereitschaft, um Menschen das Evangelium und die Christus-Nachfolge in verbindlicher Gemeinschaft nahe zu bringen – jedoch unter den völlig veränderten Verhältnissen des 21. Jahrhunderts! Das vermittelt der „Intensivkurs für ehrenamtliche Gemeindegründer“ – spannend, lehrreich, ansteckend – und absolut empfehlenswert für Schon-Gemeindegründer ebenso wie für Noch nicht-Gemeindegründer, die es werden wollen. Oder die jetzt anfangen, darüber nachzudenken.

Intensivkurs für ehrenamtliche Gemeindegründer 2018/2019                                      
Ort: Bildungszentrum Elstal                                                                                              
Leitung: Pastor Klaus Schönberg                                                                                    
Beginn: 1. Modul 1.-3.2.2018                                                                                               
Infos und Anmeldung: www.gemeindegruenden.de